Thema abonnieren · Thema bewerten |
Autor |
Thema: Zu viele wissen nichts....
Bewertung:
|
|
|
|
|
|
vonRoit
Beiträge: 2405
|
» 03.03.09 01:31 « |
|
Jean-Jacques Rousseau
Gesellschaftsvertrag 1762 Jahrd.
Erstes Buch 6. Kapitel
Vom Gesellschaftsvertrag
Ich unterstelle, daß die Menschen jenen Punkt erreicht haben, an dem
die Hindernisse, die ihrem Fortbestehen im Naturzustand schaden, in
ihrem Widerstand den Sieg davontragen über die Kräfte, die jedes
Individuum einsetzen kann, um sich in diesem Zustand zu halten. Dann
kann dieser ursprüngliche Zustand nicht weiterbestehen, und das
Menschengeschlecht würde zugrunde gehen, wenn es die Art seines Daseins
nicht änderte.
Da die Menschen nun keine neuen Kräfte hervorbringen, sondern nur die
vorhandenen vereinen und lenken können, haben sie kein anderes Mittel,
sich zu erhalten, als durch Zusammenschluß eine Summe von Kräften zu
bilden, stärker als jener Widerstand, und diese aus einem einzigen
Antrieb einzusetzen und gemeinsam wirken zu lassen.
Diese Summe von Kräften kann nur durch das Zusammenwirken mehrerer
entstehen: da aber Kraft und Freiheit jedes Menschen die ersten
Werkzeuge für seine Erhaltung sind - wie kann er sie verpfänden, ohne
sich zu schaden und ohne die Pflichten gegen sich selbst zu
vernachlässigen? Diese Schwierigkeit läßt sich, auf meinen Gegenstand
angewandt, so ausdrücken: »Finde eine Form des Zusammenschlusses, die
mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes
einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder,
indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso
frei bleibt wie zuvor.« Das ist das grundlegende Problem, dessen Lösung
der Gesellschaftsvertrag darstellt.
Die Bestimmungen dieses Vertrages sind durch die Natur des Aktes so
vorgegeben, dass die geringste Abänderung sie null und nichtig machen
würde; so dass sie, wiewohl sie vielleicht niemals förmlich
ausgesprochen wurden, allenthalben die gleichen sind, allenthalben
stillschweigend in Kraft und anerkannt; bis dann, wenn der
Gesellschaftsvertrag verletzt wird, jeder wieder in seine
ursprünglichen Rechte eintritt, seine natürliche Freiheit wiedererlangt
und dadurch die auf Vertrag beruhende Freiheit verliert, für die er die
seine aufgegeben hatte.
Diese Bestimmungen lassen sich bei richtigem Verständnis sämtlich auf
eine einzige zurückführen, nämlich die völlige Entäußerung jedes
Mitglieds mit allen seinen Rechten an das Gemeinwesen als Ganzes. Denn
erstens ist die Ausgangslage, da jeder sich voll und ganz gibt, für
alle die gleiche, und da sie für alle gleich ist, hat keiner ein
Interesse daran, sie für die anderen beschwerlich zu machen.
Darüber hinaus ist die Vereinigung, da die Entäußerung ohne Vorbehalt
geschah, so vollkommen, wie sie nur sein kann, und kein Mitglied hat
mehr etwas zu fordern: denn wenn den Einzelnen einige Rechte blieben,
würde jeder - da es keine allen übergeordnete Instanz gäbe, die
zwischen ihm und der Öffentlichkeit entscheiden könnte - bald den
Anspruch erheben, weil er in manchen Punkten sein eigener Richter ist,
es auch in allen zu sein; der Naturzustand würde fortdauern, und der
Zusammenschluss wäre dann notwendig tyrannisch oder inhaltslos.
Schließlich gibt sich jeder, da er sich allen gibt, niemandem, und da
kein Mitglied existiert, über das man nicht das gleiche Recht erwirbt,
das man ihm über sich einräumt, gewinnt man den Gegenwert für alles,
was man aufgibt, und mehr Kraft, um zu bewahren, was man hat.
Wenn man also beim Gesellschaftsvertrag von allem absieht, was nicht zu
seinem Wesen gehört, wird man finden, dass er sich auf folgendes
beschränkt: Gemeinsam stellen wir alle, jeder von uns seine Person und
seine ganze Kraft unter die oberste Richtschnur des Gemeinwillens; und
wir nehmen, als Körper, jedes Glied als untrennbaren Teil des Ganzen
auf.
Dieser Akt des Zusammenschlusses schafft augenblicklich anstelle der
Einzelperson jedes Vertragspartners eine sittliche Gesamtkörperschaft,
die aus ebenso vielen Gliedern besteht, wie die Versammlung Stimmen
hat, und die durch ebendiesen Akt ihre Einheit, ihr gemeinschaftliches
Ich, ihr Leben und ihren Willen erhält. Diese öffentliche Person, die
so aus dem Zusammenschluss aller zustande kommt, trug früher den Namen
Polis, heute trägt sie den der Republik oder der staatlichen
Körperschaft, die von ihren Gliedern Staat genannt wird, wenn sie
passiv, Souverän, wenn sie aktiv ist, und Macht im Vergleich mit ihres
gleichen. Was die Mitglieder betrifft, so tragen sie als Gesamtheit den
Namen Volk, als Einzelne nennen sie sich Bürger, sofern sie Teilhaber
an der Souveränität, und Untertanen, sofern sie den Gesetzen des
Staates unterworfen sind. Aber diese Begriffe werden oft vermengt und
einer für den anderen genommen; es genügt, sie auseinanderhalten zu
können, wenn sie im strengen Sinn gebraucht werden.
Drittes Buch 15. Kapitel
Von den Abgeordneten oder Volksvertretern
Sobald der Dienst am Staat aufhört, die hauptsächlichste Angelegenheit
der Bürger zu sein, und diese vorziehen, mit der Geldbörse statt mit
ihrer Person zu dienen, ist der Staat seinem Zerfall schon nahe. Muss
man denn in die Schlacht ziehen? sie bezahlen Truppen und bleiben zu
Hause; muss man denn in den Rat? sie benennen Abgeordnete und bleiben
daheim. Dank Faulheit und Geld haben sie schließlich Söldner, um das
Vaterland zu versklaven, und Volksvertreter, um es zu verkaufen.
Plackerei in Handel und Künsten, gieriges Gewinnstreben, Schlaffheit
und Bequemlichkeitsliebe verwandeln die persönlichen Dienste in Geld.
Man tritt einen Teil seines Gewinns ab, um ihn beliebig zu steigern.
Gebt Silber, und bald werdet ihr in Eisen liegen. Das Wort Steuer ist
ein Sklavenwort; in der Polis ist es unbekannt. In einem wirklich
freien Staat tun die Bürger alles eigenhändig und nichts mit Geld. Weit
entfernt davon, sich von ihren Pflichten loszukaufen, würden sie dafür
bezahlen, sie selbst erfüllen zu dürfen. Ich bin von den gängigen
Vorstellungen weit entfernt; ich halte Hand- und Spanndienste für
weniger freiheitswidrig als eine Besteuerung.
Je besser der Staat verfasst ist, desto mehr überwiegen im Herzen der
Bürger die öffentlichen Angelegenheiten die privaten. Es gibt sogar
viel weniger private Angelegenheiten; denn indem die Gesamtheit des
gemeinsamen Glücks einen bedeutenderen Anteil zu dem jedes Individuums
beiträgt, muss dieses sein Glück weniger in der Sorge um sein eigenes
Wohl suchen. In einem gut geführten Staat eilt jeder zu den
Versammlungen; unter einer schlechten Regierung möchte niemand auch nur
einen Schritt dorthin tun; weil nämlich keiner mehr Interesse daran
hat, was dort geschieht, weil man Voraussicht, dass der Gemeinwille
dort nicht herrscht, und weil schließlich die Sorgen um das häusliche
Wohl alles in Anspruch nehmen. Gute Gesetze lassen bessere entstehen,
schlechte ziehen schlechtere nach sich.
Zuletzt bearbeitet: 03.03.09 01:40 von Administrator
|
|
vonRoit
Beiträge: 2405
|
» 03.03.09 01:40 « |
|
Sobald einer bei den Staatsangelegenheiten
sagt: Was geht's mich an?, muss man damit rechnen, dass der Staat
verloren ist.
Das Erkalten der Vaterlandsliebe, die Betriebsamkeit des
Privatinteresses, die Übergröße der Staaten, die Eroberungen und der
Regierungsmissbrauch haben in den Nationalversammlungen den Gedanken an
das Mittel der Volksvertreter oder der Abgeordneten des Volkes
aufkommen lassen. In gewissen Ländern wagt man das den Dritten Stand zu
nennen. So wird das Sonderinteresse zweier Gruppierungen an die erste
und zweite Stelle gesetzt, und das öffentliche Interesse steht erst an
dritter.
Die Souveränität kann aus dem gleichen Grund, aus dem sie nicht
veräußert werden kann, auch nicht vertreten werden; sie besteht
wesentlich im Gemeinwillen, und der Wille kann nicht vertreten werden:
er ist derselbe oder ein anderer; ein Mittelding gibt es nicht. Die
Abgeordneten des Volkes sind also nicht seine Vertreter, noch können
sie es sein, sie sind nur seine Beauftragten; sie können nicht
endgültig beschließen. Jedes Gesetz, das das Volk nicht selbst
beschlossen hat, ist nichtig; es ist überhaupt kein Gesetz. Das
englische Volk glaubt frei zu sein, es täuscht sich gewaltig, es ist
nur frei während der Wahl der Parlamentsmitglieder; sobald diese
gewählt sind, ist es Sklave, ist es nichts. Bei dem Gebrauch, den es in
den kurzen Augenblicken seiner Freiheit von ihr macht, geschieht es ihm
recht, daß es sie verliert.
Zuletzt bearbeitet: 03.03.09 01:43 von Administrator
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Thema abonnieren · Thema bewerten |
|